Meinung: Der Blob gewinnt

Der Fleisch-Blob: Ein vielköpfiges, vielarmiges, schreiendes und wild um sich schießendes Geschöpf, dass im Jahr der Götter 1862 sein natürliches Habitat im südlichen Maryland hat. Ähnlich wie die Algenart “Phaeocystis globosa” bilden unzählige Individuen eine riesige Kolonie, die sich als mäandernde Masse über die Schlachtfelder des Amerikanischen Bürgerkriegs ergießt. Noch vor nicht allzulanger Zeit war dieses unorganisierte und damit meist ineffiziente Gebilde dem Hohn und Spott der organisierten und bis in die Haarspitzen gedrillten Linien-Infanterie ausgesetzt und wurde im Regelfall ohne großes Aufsehen wie ein Schwarm lästiger Mücken hinfort gewischt.

Volley zurück in den grauen Höllenschlund

Kommandeure, die im Ruf standen, einen Fleisch-Blob zu befehligen, wurden von den Anführern der geschniegelten Linien lächelnd als Betreiber einer Ticket-Produktionsmaschine klassifiziert. Genüsslich wurden die vom Drill gestählten und bis zur Selbstaufgabe disziplinierten Mannen in Stellung gebracht, um sich der brodelnden Masse konföderierter Blutlust anzunehmen. Das Ergebnis war oft vorhersehbar und in seiner Konsequenz für den anstürmenden Feind niederschmetternd: Unzählige graue und braune Leiber lagen verkrümmt und sterbend auf dem Feld der Ehre, während sich die Soldaten in der Linie lediglich den Staub aus den Uniformen schütteln mussten und sich gegenseitig auf die Schulter klopfen konnten. Hernach schwärmte man kurz aber leidenschaftlich von der der organisierten Linie innewohnenden tödlichen Effizienz und hielt sich für einen Hammer, der im Namen des göttlichen Zorns auf die rebellierenden Massen aus dem Süden hernieder gegangen war. Der Fleisch-Blob lag vernichtet im Staub der Felder Marylands und die Welt des geschichtsbewussten und auf Authentizität erpichten War of Rights-Spielers erstrahlte in der Dreifaltigkeit aus Zufriedenheit, Überlegenheitsgefühl und Selbstvertrauen.

Der Blob frisst Dich

Doch die Zeiten und das Schlachtenglück sind im Wandel begriffen. Immer häufiger gewinnt der unorganisierte Haufen in Feuergefechten und im Nahangriff die Oberhand und geht siegreich aus den Begegnungen mit einer organisierten Linie hervor. Diese (zugegebenermaßen) rein subjektive Empfindung fußt auf einem ganzen Reigen von Ursachen, die zusammengenommen zu einem großen Problem für organisierte Einheiten werden und langfristig die Lust auf die eigenen Organisiertheit schmälern könnte.

  1. Die Schwerfälligkeit einer Linie
    Das Rangieren mit einer Linie ist kompliziert und zeitaufwendig. Gerade in Anbetracht der zweifelhaften Server-Performance, gepaart mit fehlender Disziplin und der Hektik der Schlacht, sind Einheiten, die kaum oder gar nicht auf eine Grundordnung setzen - aber über ein Mindestmaß an Schuß-Qualität verfügen - organisierten Linien in Bezug auf die Durchschlagskraft klar im Vorteil, da sie sich schneller bewegen können, früher stehen und damit auch schneller mit dem Beschuss starten können
  2. Keine Belohnung für die Linie
    Außer dass man mit einer gut aufgestellten Streitmacht bei den Liebhabern gehobener Clausewitz'scher Militärtheorien punkten kann, hat eine geordnete Linie keinen Vorteil gegenüber einer unorganisierten Einheit, da es für den Status “in Formation” genügt, beieinander zu stehen - auch als wilder Haufen. Eine weiterführende “Belohnung” für die Linieninfanterie gibt es nicht.
  3. Formation ohne Nachteil
    Ein Fleisch-Blopp bietet zwar ein gut zu erkennendes Ziel und eine erhöhte Trefferchance - gerade für den etwas ungeübten Schützen. Mannstarke Linien, die noch dazu verhältnismäßig lange an einem Ort verharren müssen, bevor sie sich vorschriftsmäßig weiterbewegen können, machen den Nachteil einer unorganisierten Einheit allerdings zunichte, da sie ebenfalls ein hervorragendes Ziel darstellen.

Der Lohn der Mühe

Ein Ausweg aus dieser Situation ist einfach und kompliziert zugleich. Einfach, da es Mittel und Wege gibt, eine gut aufgestellte Linie zu belohnen und die Möglichkeit für das Führungspersonal besteht, durch Drill und gute Führungsarbeit Effizienz und Geschwindigkeit der Einheit zu steigern. So wäre es durchaus denkbar, die Ladezeiten der Waffen in einer Einheit zu verringern, die Hand des Schützen noch etwas ruhiger werden zu lassen oder das Maß an Unterdrückung zu mindern, wenn sich eine Einheit in einer geordneten Linie befindet. Kompliziert, da diese Änderungen mit dem Willen des Entwicklers verbunden sind, die Linieninfanterie nachhaltig zu stärken und voll auf Authentizität in den Gefechten zu setzen. Darüber hinaus wird die Programmierung dieser Vorteile keine einfache sein und ein schon jetzt kleines (und eher langsames) Programmierteam weiter überfordern. Auch durch die Steigerung der Server-Performance wäre Linieneinheiten ein großer Dienst erwiesen, würde dadurch doch die oftmals durch den Desync entstandene lästige Sortierarbeit entfallen und die Einheit so schneller einsatzbereit sein.


Ohne den düsteren Untergangspropheten geben zu wollen, sind Änderungen unbedingt und schnell nötig, will man eine Erosion der organisierten Linien verhindern und sich weiter mit dem Siegel der authentischen Darstellung des Amerikanischen Bürgerkriegs schmücken. Die Verlockung, die Organisation der eigenen Truppe teilweise oder ganz einem ungeordneten Spielstil zu opfern und damit genauso viel und sogar mehr Erfolg zu haben, ist sicher schon heute für den einen oder anderen Kommandeur groß und wird in Zukunft nicht kleiner werden. Als Resultat dieser Entwicklung könnten in naher Zukunft dann ausschließlich wütende Rudel aufeinander losgehen - auf Kosten der Immersion und des Spielspaßes.

Kommentare 2

  • Sehr gut geschriebener Artikel!
    Hat sehr viel Spaß gemacht zu lesen und ist leider zur Zeit sehr wahr und traurig...


    Ein dreifaches HUZZAH auf eine ordentliche und disziplinierte Linie!

    • Danke! Es freut mich, dass er Dir gefällt. Ich denke auch, dass wir unseren Stil nicht verändern - aber defintiv verbessern sollten. Dazu kommt außerdem die Notwendigkeit, dass auch die Entwickler einiges tun müssen, um die Linieninfrantrie nicht sterben zu lassen.


      Jan